Offener Brief an die Studenten und Professoren des Fachbereichs der visuellen Kommunikation im besonderen und an die gesamte Hochschule und die anderen Designfachbereiche im allgemeinen.
Hallo,
Ich bin ein Student des Grundstudienjahrs der visuellen Kommunikation und sehr unglücklich mit meinem Studium, so wie es jetzt abläuft, besser gesagt dem Format meines Studiums, das sich mir wie ein Korsett anfühlt.
Es soll aber klar sein, dass ich im Grunde glücklich mit Weißensee bin, wie auch mit meinen Professoren und sehr gespannt bin auf diejenigen, die ich noch nicht wirklich kennengelernt habe und wünsche mir auch mit ihnen Projekte zu machen.
Auch in meinem Fachbereich fühle ich mich an sich richtig (sofern er offen und interdisziplinär verstanden wird).
Aber das Format des Grundstudiums ist ein Korsett das mir nicht passen will.
Ich habe schon öfter überlegt, in einen anderen Fachbereich zu wechseln, wo ich mehr Freiheit in meinem Studium und meiner Entwicklung hätte.
Ich muss zu viel müssen und kann zu wenig wollen.
Ich habe keinen Raum, um mich für eine Sache (einen Kurs, ein Werk, ein Thema, etc.) selbst entscheiden zu können, es machen wollen zu können, was ausschlagend ist für die Motivation, die Energie und das Herz, das ich in diese Sache stecken kann und um es als “mein” Projekt erfahren zu können. Kein selbstgewähltes, neugieriges Ausprobieren und sich Annähren können, sondern ein auf Knopfdruck machen sollen.
Ich fühle mich wie ein unmündiger 16-jähriger Schüler im Gymniasium behandelt – nicht zwischenmenschlich, da ist alles in Ordnung, nein, sondern durch das Format.
Und hier schwankt auch unsere Beziehung mit den Professoren in einer seltsamen Ambivalenz zwischen einem Verhältnis von Respekt und gleicher Augenhöhe (zwischenmenschlich) und einem Verhältnis einer klassischen “Lehrer-Schüler” Beziehung, a lá 19.Jahrhundert-Pädagogik (Grundstudiumsformat).
Und lineare Lernvorstellungen: Erst wenn der Student Schritt 1 (z.B. eine 2-wöchige Actionscripteinführung) gemacht hat, kann er Schritt 2 (z.B. einen Hauptstudiumskurs) machen.
Für kreativ schaffende Menschen im 21.Jh ein absurder Gedanke! Besonders da die Studenten so unterschiedlich in Alter und an beruflicher oder akademischer Vorgeschichte, (Vor-)Wissen und Fähigkeiten ausgewählt wurden (– was ich eben auch sehr schätze).
So werden wir 13 Leute in einen Kurs gesteckt und bekommen vorgesetzt: So jetzt macht ihr Alle für 2 Wochen “Actionsscript” oder 4 Wochen “Typografie” von 10-17 Uhr – Anwesenheitspflicht.
Da sitzen wir dann unsere Zeit ab und basteln an unseren jeweiligen (meinen Ansprüchen nach, die ich an mich habe, halbgaren) pro-forma-Endresultaten für die Schublade, bzw. für die Schulnote.
Die Motivation dümpelt am Boden dahin und sobald es zeitlich möglich ist, und dem “Lehrer” gegenüber nicht mehr zu ungehörig erscheint, verschwinden die Leute (...und wundert das?).
Und mit meinen Ergebnissen der Kurse bin ich meist auch gar nicht glücklich, die aber wiederum als Bewertungsgrundlage für mein Schaffen herhalten sollen.
Eigeninitiative, aktives Lernen, Neugierde und Begeisterung werden so in einem Korsett erstickt. Es tötet meinen Enthusiasmus, mein Interesse und meine Motivation.
Ich verstehe, dass wir uns mit einer Bandbreite von bestimmten Dingen oder Themen beschäftigen müssen, um ein Verständnis für sie zu bekommen und sie richtig anwenden zu können in den Projekten. Aber auf diese Weise, in diesem Format?
Ich frage mich, warum können wir nicht flexibel und nach den persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen die Kurse wählen, die uns weiterbringen in unserem Projekt oder persönlich.
(Die 2-wöchige Actionscripteinführung hätte ich, mit der Motivation, dass ich es z.B. für ein Projekt bräuchte, mir in 3 Tagen im Internet selbst aneignen können, dazu brauche ich diesen Kurs nicht – Andere vielleicht schon.)
Dass einmal alle Themen belegt wurden, kann am Ende des Studiums ja trotzdem gegeben sein.
Doch in diesem Format fühle mich an die Leine gelegt (dazu an eine viel zu kurze), die mich davon abhält endlich los-zulegen, endlich etwas Richtiges zu machen und meine Ideen, die ich habe und von denen ich begeistert bin, endlich umzusetzen. Endlich was schaffen können!
Und nicht nur, dass ich so nicht mein Potential entfalten kann, sondern ich kann so auch nicht aus dem Potential meiner Mitstudenten schöpfen. Wir sind alle sehr unterschiedlich an Alter, Fähigkeiten und Blickpunkten, was eine grosse Bereicherung für uns alle ist – aber nur wenn wir uns in Projekte reinstürzen (wollen können) in denen wir mit 100%, mit Motivation, mit Energie und mit dem Herzen dabei sind – dann nehmen wir auch genauso viel von den anderen mit aus dem Projekt. Doch das habe ich wenig erleben können im letzten Semester.
Weitere Knackpunkte sind die Zeit und die Intersdisziplinarität.
»Interdisziplinarität« ist ein geliebtes Schlagwort an der Hochschule (besonderes wenn es um die Selbstvermarktung geht), doch in der Studiumsstruktur wird es sehr stiefmütterlich behandelt. Im Grundstudium der vK ist Interdiszplinarität faktisch nicht vorhanden und wird auch nicht ermöglicht – außer man fehlt in Kursen des eigenen Fachbereichs, um an Kursen anderer Fb teilnehmen zu können. Dies wird eher widerwillig geduldet (dort wo ich im (Pflicht-)Kurs fehle), ganz abgesehen von der doppelten Arbeitslast, da man ja die "eigentlichen" Kurse alle genauso absolvieren muss.
Thema »Zeiträume«:
2- oder 4-wöchige Kurse lassen nur Raum für eine oberflächliche Beschäftigung mit einem Thema, gerade genug für ein sich versuchen. Das ist eine gewisse Zeit lang auch in Ordnung. Doch ich spürte schon in den Grundlagen mehrmals das Bedürfniss mich eingehender mit einem Thema zu beschäftigen, dass ich soeben entdeckt hatte und Ideen für mich zufriedenstellend ausarbeiten zu können. Was mir aber nicht ermöglicht wurde.
Stattdessen hänge ich jetzt schon seit 1 1/2 Jahren im 2-4 Wochen-Loop gefangen und warte das ich endlich eine Sache konzentriert, und nicht nur an der Oberfläche kratzend, angehen und ausarbeiten kann.
Also warten...
Warten bis der Kurs kommt in den meine Ideen vielleicht reinpassen würden (wenn nicht ein anderes Thema vorgegeben wird)... Warten, dass ich endlich die Zeit habe mich tiefer auf ein Projekt und ein Thema einzulassen... Warten bis mein wirkliches Studium endlich losgeht.
Ich möchte nicht mehr warten.
Ich habe diese Gedanken und Gefühle auch schon mehrmals ausgedrückt, meist aber gehört: “Warte auf das Hauptstudium, da wird es anders werden”.
Ich warte jetzt schon seit den Grundlagenkursen - wo ich, wie gesagt, schon damit gekämpft hatte nicht genug Zeit zu haben, um mich auf ein Thema wirklich einlassen zu können. Doch ich verstand die Idee von den Grundlagen – war auch Ok. Jedoch inzwischen sind 1 1/2 Jahre (meines nur 4-jährigen Bachlorstudiums) vergangen.
Und um ständig das Gefühl zu haben nicht loslegen zu können, mich zurückhalten zu müssen und zu warten – nein, dazu habe ich kein Studium angefangen.
Ich will weitermachen: hier in Weißensee, visuelle Kommunikation – aber nicht so. SO möchte ich nicht weiterstudieren.
Ich würde diesen Brief nicht schreiben wenn ich der Einzige wäre, aber es geht vielen anderen aus unserem Grundstudium ähnlich. Ich will an dieser Stelle nicht für sie sprechen, und sie würden sich bestimmt auch anders ausdrücken und andere Schwerpunkte setzen.
Ebenso würde ich diesen Brief auch nicht schreiben, wenn ich nicht glauben würde, dass man hier etwas ändern kann.
Hochachtungsvoll
Florian Huss
(flofluse@dcc-artivisme.net)
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In reply to Deleted user
Re: Grundstudium als Korsett - Offener Brief an meine Hochschule
by Deleted user -